Wandertag und ein Wunder



 

Zum Meditationszentrum hat’s Johannes natürlich nicht geschafft. :) Stattdessen haben wir lange geschlafen und dann ausgedehnt auf unserer Terasse gefrühstückt. Dazu gab’s ’nen herrlichen Meerblick, was will man mehr? Wir lernten einige freundliche Gestalten kennen, die auch in unserem Häuschen lebten, allesamt etwas älter, zwischen 35 und 45, aber sehr entspannt drauf. Das scheint bisschen der typische Gomera-Urlaubertyp zu sein. Viele waren früher schonmal da, wahrscheinlich zu etwas wilderen Zeiten und wollen nun nach 20 Jahren mal schauen, wie’s jetzt ist. Lustig ist, dass die Männer unter den Touris alle fast identisch aussehen: Groß, Kurzhaarschnitt, Brille und schlank. Sie sind wirklich alle schlank, was in diesem Alter eigentlich alles andere als normal ist. Teilweise sehen sie sich so ähnlich, dass ich sie nicht auseinanderhalten kann. Sehr seltsam.

Gegen 14 Uhr beschlossen wir endlich unser lang gehegtes Vorhaben in die Tat umzusetzen und wandern zu gehn. Ein Paar aus unserem Ferienhaus lieh uns einen Wanderführer, wir beschlossen, einen 1000 Höhenmeter-Aufstieg ins nächste Dorf anzugehen. Laut Wanderführer sollte das zweieinhalb Stunden dauern. Maßlose Übertreibung, dachten wir, und nahmen uns vor, in zwei Stündchen oben zu sein.

Die ersten Kilometer waren nicht gerade berauschend, wir liefen in einem ausgetrockneten, hässlichen Flussbett entlang und bogen noch dazu falsch ab, was uns ein Stück Asphaltstraßenmarsch bescherte. Nachdem wir die Zivilisation hinter uns gelassen hatten wurde es aber echt spektakulär. Wir liefen an tiefen Schluchten und grünen Tälern vorbei, der Weg wand sich immer höher in die Berge empor. Nach jeder Biegung gab es neue atemberaubende Ausblicke.

Allerdings machte uns etwas stutzig, dass uns zwar viele Wanderer entgegen kamen, aber keiner in unsere Richtung lief, scheinbar waren alle schon auf dem Rückweg. Inzwischen waren auch zwei Stunden vergangen und noch kein Ziel in Sicht. Wir hofften, oben im Dorf einen Bus zurück ins Valle zu finden, sonst hätten wir ein Problem, denn bis zum Einbruch der Dunkelheit würden wir den Rückweg nicht schaffen.

Nach einer weiteren Stunde kamen wir endlich oben an. Dauerte doch länger als gedacht, waren wir solche Weicheier? Alles in allem war es aber trotz der 1000 überwundenen Höhenmeter ein recht einfacher Aufstieg. Ich erinnerte mich an die Besteigung des über 6000 Meter hohen Huayna Potosi in Südamerika. Am Tag der Gipfelbesteigung stiegen wir von 5000 auf 6000 auch nicht mehr als 1000 Höhenmeter auf und viel steiler war es dort auch nicht. Trotzdem war das eine so unendlich größere Anstrengung, dass mir richtig bewusst wurde, welche große Rolle der Sauerstoff dabei spielte.

Im Dorf fragten wir in einer Kneipe nach dem Busfahrplan. An der Bar saß ein Taxifahrer, der anbot, uns für 25 Euro mit dem Taxi runter zu fahren. Wir teilten uns das mit drei älteren Touris, die auch in der Kneipe rumsaßen. Auf dem Rückweg fragte ich, wie lange sie für den Aufstieg gebraucht hatten. Als ich hörte, dass sie fünf Stunden unterwegs waren, fühlte ich mich in meiner Trekker-Ehre wieder rehabilitiert. :)

Am Abend suchten wir uns ein Internetcafe, um uns bisschen über das Goa-Festival zu informieren. Die Fotos von der Location sahen echt cool aus, angeblich wurden auch schon 2000 Tickets verkauft. Der Internetladen war bisschen esotherikmäßig eingerichtet und gehörte einem ausgewanderten Deutschen, den Johannes bisschen über das Festival ausfragte. Was er sagte, klang allerdings nicht gerade ermutigend. „Ich sag’s euch, das wird nichts. Es gibt nur eine Zufahrtsstraße, die wird die Polizei absperren, jedes Auto durchsuchen und alles rausziehn!“ Und wo können wir ein Zelt kaufen? „Zelte könnt ihr vergessen, ich kenne die Veranstalter, die haben alle Zelte auf der Insel aufgekauft!“

Wir bekamen außerdem mit, dass ganz Gomera seit Wochen außer Rand und Band war, weil keiner dieses Festival dort haben wollte. Wahrscheinlich hatten sie Angst, dass eine Horde Druffies alles kurz und klein schlagen und den Untergang des Abendlandes einläuten würde. Wir überlegten hin und her, ob wir im Valle bleiben oder zum Festival fahren sollten. Unser Hauptproblem war nach wie vor das Zelt.

Wir zogen bisschen durch die Geschäfte und landeten schließlich in einer Ferreteria, so nennt man dort die Gemischtwarenläden. Und als hätte der Himmel seine Finger im Spiel gehabt, lag dort ein einziges Zelt mit zwei Schlafsäcken herum, wie für uns bereit gelegt. Wir wollten noch eine Nacht drüber schlafen und fragten, wann der Laden morgens aufmachte. Um 8 Uhr öffnen die Pforten wieder, sagte man uns. Direkt hinter uns wurde auch abgeschlossen, also konnte uns niemand mehr das Zelt wegschnappen.

Bei ’nem Bierchen auf unserer Terasse fiel uns dann die Entscheidung nicht mehr schwer: Ein Zelt, zwei Schlafsäcke, das musste ein Zeichen sein. Goa Party, wir kommen! Das wird ein Spaß, Silvester unter freiem Himmel tanzen! Morgen früh werde ich um halb 8 aufstehen und zur Ferreteria stürmen, um direkt nach der Ladenöffnung das Zelt zu kaufen. Gerade gehen uns noch Gedanken durch den Kopf wie: Es könnte nachts ein Kumpel des Besitzers bei der Ferreteria anrufen, sagen, dass er ein Zelt braucht und es nachts dort abholen. Aber das sind jetzt echt Paras, der Internetcafebesitzer war einfach ’ne Laberbacke und ein Spinner vor dem Herrn.

Huayna Potosi Tag 3 – Grenzerfahrung auf 6088 Höhenmetern



 

Schlafen im High-Camp war ’ne recht eigenartige Sache. Die Temperatur auf dem Dachboden war ok, ca. 0 Grad haben mein Schlafsack und meine drei Hosenschichten gut verkraftet. Aber erstens ist Schlafen um 18 Uhr ziemlich ungewohnt, zweitens auf 5130 Metern Höhe nicht ganz einfach. Der Sauerstoffgehalt der Luft beträgt hier nur noch 50% im Vergleich zu Meereshöhe, der Atemreflex passt sich aber nicht so schnell den veränderten Bedingungen an. Ich bin immer wieder aufgewacht mit dem Gefühl, keine Luft zu bekommen, hab dann einige Minuten so viel geatmet, wie ich konnte, bevor ich mich wieder wohl fühlte.

Um Mitternacht wurden wir geweckt, denn die Gipfelbesteigung sollte um 1 Uhr nacht beginnen. Einerseits, um den Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu erleben, andererseits, weil das Laufen auf dem Schnee einfacher ist, bevor die Sonne ihn antaut. Es gab Frühstück, Paul konnte aber immer noch nichts essen. Ich fragte mich, woher er die Energie für den Aufstieg nehmen wollte, aber er wollte unbedingt mitkommen. Nach und nach starteten alle Gruppen, auch wir legten unsere Ausrüstung an und legten los. Raus ging’s in die -15 Grad kalte, stockdunkle Nacht.

Frühstück um MitternachtStart um 1 Uhr nachtsDie letzten MeterAngekommen auf dem GipfelSonnenaufgangGlücklichDa unten waren wirBerggipfel - alle niedriger als wir :)Abseilen nach untenAtemberaubende LandschaftAbwärtsDa oben waren wirBlick zum Base-Camp (am See)Wieder im Base-Camp, letzter Blick zurück

Unser Führer sicherte uns mit einem Seil, das uns alle verband, damit niemand unbemerkt in einer Gletscherspalte endete. Dann ging’s mit den Steigeisen über Schnee und Eis aufwärts. Eins war klar: Wenn unterwegs ein Unfall passieren sollte, war jede Hilfe Ewigkeiten entfernt. Jemand müsste runter zum Base-Camp klettern und von dort aus Hilfe rufen. Hubschrauber können wegen des niedrigen Luftdrucks nicht höher als 4000 Meter fliegen, die einzige Möglichkeit wäre also ein stundenlanger Aufstieg und Abstieg mit Trage.

Schritt für Schritt stiegen wir bergauf, bewaffnet mit Head-Lights, die ein klitzelkleines Guckloch in die Dunkelheit leuchten konnten. Die Steigeisen gaben auf dem festen Schnee guten Halt, aber der Hang wurde steiler und steiler. In der Ferne konnten wir die Lampen der anderen sehen, die Höhe ließ erahnen, wie weit es noch raufgehn würde.

Der Hang wurde so steil, dass man die Schuhe nur noch quer zum Hang aufsetzen konnte. Das Atmen wurde jetzt sehr, sehr mühselig, die einzige Möglichkeit, genug Sauerstoff in den Körper zu bekommen, war, bei jeden Schritt mit so viel Druck wie möglich ein- und auszuatmen. Das Problem dabei war, dass dieser Prozess nicht für einen Moment unterbrochen werden durfte. Wenn ich schlucken musste, konnte ich für einen Moment nicht atmen und japste danach ’ne ganze Weile nach Luft. Es war also jedes Mal ’ne schwierige Entscheidung, schlucken oder nicht schlucken, Nase laufen lassen, hochziehen oder gar ausschnauben?

Ich bewunderte Paul, wie er ohne jede Nahrung im Magen mitzog. Er war sichtlich schwach auf den Beinen, kämpfte aber wie ein Tiger. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die wir keuchend bergauf stapften und zusehends schwindenden Kräften, sahen wir schemenhaft am Horizont etwas aus dem Dunkel ragen. Sollte das der Gipfel sein? Wir fragten unseren Führer, wie weit es noch ist. Die Antwort war ernüchternd: In einer Stunde sollten wir erst die Hälfte erreichen.

Wir trotteten weiter, ich schaltete mein Gehirn fast komplett ab und konzentrierte mich nur noch auf den nächsten Schritt und den nächsten, tiefen Atemzug. Ich glaubte nicht wirklich daran, diese Tortur mit steigender Höhe und schwindendem Sauerstoff bis zum Ende durchzuhalten. Noch mehr Sorgen machte ich mir um Paul, der nicht mehr besonders bei Kräften war.

Wir legten eine Pause ein, unser Führer sagte, dass wir uns nun auf 5800 Metern Höhe befanden. Paul meinte, dass seine Hände fast eingefroren seien und er sie nicht mehr warm bekomme, außerdem war er wirklich fix und fertig. Er wollte aufgeben, meinte, dass er nicht mehr weiter kann und zurück muss. Hinter uns war noch eine Gruppe mit Führer unterwegs, ich fragte unseren Führer, ob ich mit denen weiter nach oben könnte. Er wollte fragen, in dem Moment wäre ich ehrlich gesagt nicht wirklich traurig gewesen, mit Paul zurück zu müssen, weil meine Kräfte mich auch langsam verließen. Wenn es aber die Möglichkeit gab, wollte ich’s trotzdem weiter versuchen.

Nach fünf Minuten kam der andere Führer an. Doch Paul raffte sich plötzlich auf, er hatte seine Hände in den Achselhöhlen aufgewärmt, wieder etwas Kraft getankt und wollte tatsächlich weiter nach oben. Respekt! Durch den längeren Zwischenstopp waren meine Zehen ziemlich kalt und taub geworden. In diesem Moment wurde mir plötzlich klar, dass das nicht ganz ohne war. Wenn Finger oder Zehen hier so kalt würden, dass man die nicht mehr warm bekäme, würde es Stunden dauern, zum High-Camp zurück zu laufen um sich aufzuwärmen, Erfrierungen wären fast vorprogrammiert.

Ich versuchte nun, bei jedem Schritt die Zehen einmal anzuziehen und wieder auszustrecken, um sie in Bewegung zu bringen. Das war nicht ganz einfach, denn diese zusätzlich Kraft konnte ich auf den steilen Hängen nicht aufbringen. Auf den etwas flacheren Strecken funktionierte das aber ganz gut und nach 20 Minuten fühlte ich meine Zehen wieder.

Wir stapften und stapften wortlos und schnaufend durch die Nacht. Paul bat immer öfter um eine Pause, ich glaubte nicht, dass er bis zum Ende durchhalten würde. Doch Stunde um Stunde schritten wir weiter. Mir ging’s eigentlich ganz gut, bis auf die immer größere Herausforderung, genug Sauerstoff in den Körper zu bekommen. Ich spürte, wie die Energie langsam aber sicher aus meinem Körper wich.

Ich wusste, dass das letzte Stück zum Gipfel eine 65 Grad steile, 240 Meter lange Wand sein würde. Wenigstens bis dorthin wollte ich kommen, das war jetzt mein Ziel. Wir legten eine Pause ein, dann wurde es plötzlich mächtig steil, ca. 45 Grad. Quer zum Hang stiegen wir Schritt für Schritt nach oben. In dieser Höhe konnten wir pro Schritt nur noch 20 Zentimeter zurücklegen, mehr war aus unseren Körpern nicht mehr heraus zu holen. Bald ging es so nicht mehr weiter, denn der Hang wurde noch steiler. Wir hatten die 65-Grad-Wand erreicht.

Ich konnte nicht mehr, wir machten eine Minute Pause. Ich holte ein Snickers aus meinem Rucksack, um etwas Energie zu tanken… aber es war gefroren und ließ sich nur unter Gefahr eines Zahnverlusts verspeisen. Ich wollte einen Schluck aus meiner Wasserflasche nehmen, sie fiel mir aus der Hand und rutschte in die Tiefe der Nacht. Plötzlich bekam ich eine unglaubliche Wut auf diesen Berg. Erstens hat er mir mein Snickers eingefroren, zweitens mein Wasser weggenommen und drittens gab er mir nicht genug Sauerstoff zum Atmen. Dir werd ich’s zeigen, dachte ich mir.

Es ging nun nur noch mit der Eisaxt weiter: Ausholen, zuschlagen, festhalten, sich hochziehen und mit den Steigeisen Halt suchen. Jeder Schritt fühlte sich an, als wäre es der letzte machbare, ich atmete so tief und schnell ich konnte und bekam doch nicht genug Luft. Unser Führer war vor mir, Paul hinter mir. Unglaublich weit oben sah ich die Lichter der anderen, ich war 100%ig sicher, dass meine Energie nicht mehr bis dorthin reichen würde. Aber ich setzte mir ein letztes Ziel: Ich wollte die Mitte der 240-Meter-Wand erreichen, um wenigstens auf 6000 Metern Höhe gesen zu sein.

Wir legten immer wieder Pausen ein, das war hier aber nur an der Wand lehnend, mit einer Hand an der Eisaxt hängend, möglich. Dadurch wurde es innerhalb einer Minute so kalt, dass wir uns weiter bewegen mussten. Die kurzen Pausen schienen recht gut Energie zu geben, aber nach drei kräftigen Schritten war der gewonnene Sauerstoff wieder aufgebraucht und es ging fast nicht mehr weiter.

Nach ewiger Tortur meinte unser Führer, dass wir die Hälfte der Wand erreicht hätten. Da wollte ich hin, 6000 Meter, aber jetzt aufgeben? 120 Meter vor’m Ziel? Ich zog mich Schritt für Schritt weiter nach oben. So lange ich nicht ohnmächtig würde, würde ich nicht mehr aufhören, schwor ich mir. Ich schaute nicht mehr nach vorne, sondern nur noch direkt zwischen meine Füße, so wirkte sie Wand nicht so steil. Den Trick hatte ich als Kind oft benutzt, wenn ich von der Schule den steilen Berg nach Hause laufen musste.

Mein Herz raste, meine Lunge schrie nach Luft, aber ich schob mich Schritt für Schritt nach oben. Ich hörte von hinten Pauls Stimme, er brauchte eine Pause. Wir legten uns an den Hang, ich spürte ein klitzekleines Stück Energie in meinen Körper zurück kriechen. Unser Führer rief, dass wir nun noch ein Viertel der Wand vor uns hätten. Langsam setzte die Morgendämmerung ein. Wir rafften uns auf und kämpften uns weiter nach vorne, Schritt für Schritt. Ich konnte weder klar denken, noch richtig sehen. Doch in ca. 10 Metern Entfernung sah ich plötzlich verschwommen einige Gestalten stehen. Stehen? Das musste eine gerade Zwischenebene sein, perfekt für eine Verschnaufpause!

Ich wollte nur noch dorthin, versuchte richtig Gas zu geben, aber mir blieb die Luft weg. Die einzige Möglichkeit, nochmal Sauerstoff in meinen Körper zu kriegen, war zu hyperventilieren. Ich atmete so schnell ich konnte, bekam so einen letzten Kraftkrümel und schob mich damit schließlich über die Kante zur Zwischenebene. Ich rollte mich auf den Rücken und lag mit geschlossenen Augen im Schnee. Mein Herz fühlte sich an wie ein Trommelwirbel, meine Lunge japste nach Luft. Nach einer Minute öffnete ich die Augen und sah im Morgengrauen, dass es nicht mehr weiter nach oben ging. „Ist das der Gipfel?“ fragte ich ungläubig. „Na das will ich doch hoffen!“ schallte es mir lachend von einem Kollegen entgegen. Ich hatte es geschafft!

Dann entdeckte ich Paul, der halb weinend vor Glück neben mir lag. Wir fielen uns in die Arme und beglückwünschten uns. Nach und nach kamen alle oben an, von den 10 Leuten hatte es jeder geschafft. Inzwischen war es 7 Uhr, langsam schob sich die Sonne über den Horizont und tauchte alles in ein wunderbares, rotes Licht. Zum ersten Mal an diesem Tag konnten wir unsere Umgebung sehen. Wir waren umgeben von schneebedeckten Gipfeln, die aber allesamt unter uns waren, ein erhebendes Gefühl! Die Sonne stieg schnell höher und wärmte uns auf. Nach 20 Minuten Glück ging an den Abstieg.

Mit Seilen gesichert stiegen wir die Wand wieder hinab, ohne wäre es Wahnsinn gewesen, denn wenn man auf der 65-Grad-Wand den Halt verliert, hat man keine Chance. Danach liefen wir den ganzen Weg zurück Richtung High-Camp. Endlich konnten wir die wunderschöne Landschaft sehen, die uns umgab. Ich war ziemlich froh, dass wir den Aufstieg in der Nacht hinter uns gebracht hatten, denn nun wurde erst richtig klar, welch unglaubliche Hänge wir hinaufgestapft waren. Hätten wir das vorher gesehen, hätte wahrscheinlich der ein oder andere aufgegeben.

Der Abstieg dauerte ca. zwei Stunden. Wir mussten bald feststellen, dass es auch kein Kinderspiel war, mit Steigeisen steile Schneehänge runter zu laufen, zudem hatten wir inzwischen so gut wie keine Energie mehr im Körper. Irgendwann konnten wir in weiter Ferne das High-Camp sehen, in viel zu weiter Ferne. Aber was blieb uns übrig, wir konnten ja schlecht im Schnee liegen bleiben.

Eine halbe Stunde später kamen wir endlich am Ende des Schneefelds an, machten die Steigeisen los und mussten nur noch 50 Meter bergauf zum High-Camp laufen. Bergauf, das war das Problem. Nach drei Schritten konnte ich nicht mehr, Paul setzte sich auf einen Stein, aber ich wollte nicht aufgeben. Ich sah die rettende Bank direkt vor mir, und doch war sie fast unerreichbar fern. Ich versuchte nochmal meinen Hyperventilier-Trick… es klappte, ich schaffte die paar Schritte und fiel halb tot auf die Bank. Geschafft!

Unglaublicherweise mussten wir aber noch unsere Ausrüstung zum 400 Höhenmeter niedrigeren Base-Camp schleppen. Doch vorher war uns eine Stunde Pause gegönnt, wir fielen auf die Matratzen auf dem Dachboden, schliefen ein und nach und nach gesellten sich die anderen dazu. Nach einer Stunde wurden wir geweckt und sollten weiter zum Base-Camp. Ein paar ganz verzweifelte bestachen ihre Führer mit ein paar Bolivianos, damit sie noch eine halbe Stunde länger schlafen konnten. Ich fühlte mich erstaunlicherweise wieder recht fit und war bereit zum Abstieg.

Nach ’ner weiteren Stunde kamen wir schließlich im Base-Camp an. Erst langsam wurde uns klar, was wir hinter uns hatten. Es fühlte sich nicht wirklich real an, eher wie ein langer Traum. Ein Blick zurück zum Gipfel ließ den Tag noch unwirklicher erscheinen. 12 Stunden vorher waren wir aufgestanden und dort hochgestiefelt? Unglaublich!

Ein Auto brachte uns wieder nach La Paz, auf der Fahrt spürte ich plötzlich ungeheuren Stolz in mir aufsteigen. Ich bin noch nie so nah an der Grenze meiner körperlichen Kräfte gewesen, wirklich kurz davor, vor Erschöpfung ohnmächtig zu werden. Und doch hatte ich es geschafft. Noch mehr muss ich allerdings Paul bewundern, der das Ganze mit Lebensmittelvergiftung und ohne Essen im Magen gemeistert hat. Er war allerdings zu schwach, um stolz zu sein und schlief im Auto sofort ein.

Jetzt sind wir wieder in La Paz, die Luft auf 3600 Höhenmetern fühlt sich nun an wie die reinste Sauerstoffoase. Vor vier Tagen hab ich hier noch geschnauft und gejapst. :) Jetzt muss ich erstmal langsam begreifen, was wir heute vollbracht haben.

Huayna Potosi Tag 2 – Aufstieg ins High-Camp



 

Baaaah, was für eine Nacht. Traue niemals gemieteten Schlafsäcken von ’ner Agentur. Dreimal hab ich gefragt, ob die Schlafsäcke auch warm genug für die Höhe sind. Jaja, auf jeden Fall, jaja, kein Problem…

Im 4700-Meter-Base-Camp war es gestern tagsüber ja noch recht angenehm, direkt nach Sonnenuntergang fiel die Temperatur aber wie im Sturzflug. Weil mein Schlafsack mir schon etwas seltsam vorkam, bin ich mit langer Unterhose, Jeans und Thermohose reingekrochen. Bis 1 Uhr nachts war das auch ok, dann schlug die Kälte aber richtig zu, -10 Grad suchten sich ihren Weg in meinen Schlafsack und durch meine drei Hosenschichten. Ich rollte mich wie ein Embryo zusammen, um so viel Wärme wie möglich bei mir zu behalten, aber viel nützte das nicht.

Schlafen konnte man das nicht mehr nennen, ich schlummerte ab und zu mal ein, wurde aber immer wieder von der Kälte geweckt. Dreimal hab ich geträumt, dass die Sonne aufgeht und mich wärmt, aber jedes Mal, wenn ich freudig die Augen öffnete, war es immer noch dunkel und bitterkalt. Stunden später war es aber endlich so weit: Um 7 Uhr weckte uns unser Führer und die ersten Sonnenstrahlen machten das Leben wieder erträglich.

Über Steine und Geröll steil nach obenDas High-CampBlick zum GipfelMittagsschläfchen

Nach ’nem Frühstück machten wir uns auf den Weg ins High-Camp. Das liegt auf 5130 Metern Höhe und ist unser letzter Stopp vor dem Gipfel. Wir mussten unsere komplette Ausrüstung dort hochschleppen, ca. 15 kg Gepäck, in dieser Höhe wiegt aber alles nochmal doppelt so schwer. Bis zur Hälfte des Weges gab es noch einen Pfad, danach ging’s nur noch über Geröll und Steine steil nach oben. Zwischendurch mussten wir sogar einen kleinen Felsen hochklettern, was mit dem Gepäck nicht so ganz ohne war.

Nach drei Stunden kamen wir am High-Camp an, keuchten und schnauften und der Schweiß rann uns aus allen Poren. Und es soll nochmal fast 1000 Meter höher gehn? Für mich ist das fast unvorstellbar. Aber ich lass es einfach mal auf mich zukommen, ohne groß darüber nachzudenken.

Das High-Camp ist eine kleine Hütte, unten gibt’s ’nen Essensraum, auf dem Dachboden liegen jede Menge Matratzen, auf denen wir die Nacht verbringen werden. Wir haben hier 8 Leute von anderen Gruppen getroffen, die auch nach oben wollen. Alle sind schon richtig aufgeregt und rätseln, ob und wie sie den Gipfel erreichen werden.

Paul hat leider mal wieder mit seinem Magen zu kämpfen. Peru und Bolivien scheinen ihm nicht besonders zu bekommen, fast jede Woche hat er hier ’ne kleine Lebensmittelvergiftung. Er kann heute nichts essen, ohne dass sich ihm der Magen umdreht, nicht gerade die besten Vorraussetzungen, um ’nen 6000er zu besteigen.

Heute Nachmittag heizte die Sonne den Dachboden vom High-Camp recht gut auf, so dass wir ein molliges Nachmittagsschläfchen halten konnten. Danach gab’s Abendessen, schon um 17 Uhr, denn der Aufstieg zum Gipfel beginnt um 1 Uhr nachts, um Mitternacht wird’s Frühstück geben. Deswegen verkrieche ich mich gleich in mein Bett und bete, dass der Dachboden bisschen von der Nachmittagswärme behält.

Huayna Potosi Tag 1 – Training am Übungsgletscher



 

Heute startete unsere dreitägige Mission zur Besteigung des 6088 Meter hohen Huayna Potosi. Um 9 Uhr morgens wurden wir von La Paz aus ins 25 km entfernte Base-Camp gebracht, das auf 4700 Metern Höhe liegt, von hier aus wird’s zu Fuß weiter gehen. Unsere erste Nacht werden wir hier im Zelt verbringen. Unser Führer baute ein Doppelzelt für Paul und mich auf und ein Einzelzelt für sich. Er ist bis jetzt bisschen maulfaul, mal sehn, ob er noch bisschen munterer wird.

Der 6088 Meter hohe Huayna PotosiAuf dem Weg zum ÜbungsgletscherTraining am ÜbungsgletscherZelten im Base-Camp

Heute stand erstmal ein zweistündiges Training am Übungsgletscher auf dem Programm. Weil wir komplett null Bergsteigerfahrung haben, ist das ’ne ganz gute Idee. Bepackt mit Thermoanzug, Plastikstiefeln, Steigeisen und Eisaxt machten wir uns auf den Weg zum 150 Höhenmeter weiter oben gelegenen Gletscher. Dort angekommen war ich schon ordentlich außer Puste. Das kann ja heiter werden, wenn’s erst richtig hoch geht.

Am Gletscher angekommen lernten wir verschiedene Techniken, mit den Steigeisen zu laufen, auf ebenem Eis, leichten Steigungen und steilen Hängen. Die Königsdisziplin war schließlich das Klettern an einer 15 Meter hohen, 90 Grad steilen Eiswand. Dort musste man sich mit Steigeisen und zwei Eisäxten im Eis festkrallen und Schritt für Schritt nach oben hangeln. Bin nur zwei Meter hoch gekommen, dann hat mich die Kraft verlassen. Paul ist bewundernswerterweise die komplette Wand hochgekraxelt. Zum Glück war das nur Übung, so ’ne Wand wird uns bei unserem Aufstieg nicht begegenen.

Am Gletscher waren verschiedene Gruppen mit ihren Führern zu Gange. Zwei Kandidaten haben direkt Bekanntschaft mit der Höhenkrankheit gemacht, einer lag beduselt mit Kopfschmerzen am Gletscherrand und konnte nicht mitmachen, der andere hat sich nach kurzer Zeit die Seele aus dem Leib gekotzt. Mit ging’s eigentlich recht gut, bis auf dass ich recht schnell außer Puste war.

Nach zwei Stunden ging’s zurück zum Base-Camp, unser Führer hat uns Spaghetti Bolognese gekocht. Gleich werden wir ratzen, um morgen fit für die erste Etappe zu sein.

Besteigung eines 6000ers, morgen geht’s los



 

Jetzt steht’s fest, Paul und ich werden versuchen auf den 6088 Meter hohen Huayna Potosi zu klettern. Wir hatten ja schon letzte Woche mit dem Gedanken gespielt, waren uns aber noch nicht 100%ig sicher. Mal hatte ich Zweifel, mal Paul, aber heute haben wir schließlich in ’ner Agentur alles gebucht, wir werden drei Tage unterwegs sein, bekommen einen Führer und sämtliche Ausrüstung gestellt.

So richtig sicher bin ich mir nicht, ob ich das packen werde. In La Paz, das auf 3600 Meter Höhe liegt, komm ich bei kleinen Hügeln schon ganz schön ins schnaufen. Die Luft ist auf jeden Fall nicht besonders dick hier, und dann nochmal fast 2500 Meter höher bei Eis und Schnee? Naja, ’nen Versuch ist’s wert…

Abenteuerplanung in La Paz



 

Heute Mittag haben Paul und ich den Bus nach La Paz, der Hauptstadt von Bolivien, genommen. Zwischendurch wurde der Lake Titikaka mit der Fähre überquert, wir mussten aussteigen und ansehen, wie der Bus auf eine schwimmende Holzkonstruktion fuhr, die aussah, als würde sie keine 100 kg tragen. Wir setzten mit ’nem Boot rüber, dass wirkte, als wäre es von ’nem Hobbyheimwerker fix zusammen gekloppt worden. Aber der Schein trügte, die Technik funktionierte bestens.

Unser Bus auf der FähreUnser Boot auf dem Lake TitikakaMädchen aus dem BusLa Paz von oben

Im Bus saß ein lustiges Mädchen vor uns, vielleicht 4 oder 5 Jahre alt. Hab die ganze Zeit mit ihm rumgealbert und Faxen gemacht, hab zwar kein Wort vom Babyspanisch verstanden, aber Faxen machen ist zum Glück international. :)

In La Paz angekommen haben wir uns ein Hotel gesucht, haben beide ein Einzelzimmer mit Fernseher, denn Bolivien ist so billig, dass wir uns auch mal ein bisschen Luxus gönnen können. Danach haben wir ein paar Agenturen ausgecheckt, denn wir haben hier einige Abenteuer vor.

Wir haben für Samstag einen Mountainbike-Downhill-Trip auf der sogenannten „gefährlichsten Straße der Welt“ gebucht. Es ist die Strecke von La Cumbra nach Coroico, insgesamt 64 km lang mit einem Höhenunterschied von 3600 Metern. Die Straße ist eine holprige Schotterpiste, nur 3,20 Meter breit und verläuft entlang einem 600 Meter tiefen Abgrund. Vor zwei Wochen erst hat einer Bekanntschaft mit einem laaaangen freien Fall gemacht. Wir haben uns aber ’ne gute Agentur ausgesucht die Spitzen-Downhill-Bikes zur Verfügung stellt, sollte also glatt gehen.

Nächste Woche wollen wir uns dann mal mit ernsthaftem Bergsteigen beschäftigen. Der Machu Picchu Trek war ein gutes Warm-up mit dem 4600-Meter-Pass, jetzt wollen wir mehr. In der Nähe von La Paz befindet sich der Huayna Potosi, ein 6088 Meter hoher Berg. Haben uns heute mal bisschen schlau gemacht, wie man dort hochkommt, werden morgen wohl eine 3-Tages-Tour buchen. Wir bekommen ein Bergsteig-Training und Ausrüstung von der Agentur, komplett mit Seilen, Steigstiefeln und Eisaxt. Die letzte Nacht verbringen wir im Zelt in Eis und Schnee im Base-Camp bei -10 Grad, dann geht’s steil eine 300-Meter-Wand hoch zum Gipfel. Bin gespannt, ob wir das hinkriegen, 6088 Meter, das wäre echt ’ne krasse Sache!