Haus meiner Gastgeber in Hattibang

Chepang – Eine Welt ohne Strom und Straßen

5 Tage lang war ich zu Fuß in einer Welt ohne Straßenanbindung, Strom und fließendes Wasser unterwegs. Das brachte mich auf die Frage, was eigentlich Glück ist.



 

Ich hatte gelesen, dass vom Chitwan Nationalpark aus ein Pfad durch die ländliche Chepang Region zur Straße nach Kathmandu führen würde. Zu Fuß wäre man 5 Tage unterwegs und könnte in Homestays in den Dörfern übernachten. Das hörte sich ziemlich genau nach dem an, was ich gesucht hatte: Das ländliche Nepal hautnah erleben fernab aller Touristen.

Zu Fuß durch die Chepang Region

Angebote, einen Guide dafür zu nehmen, lehnte ich dankend ab, auf diesen Weg wollte ich mich unbedingt allein begeben. Ich besorgte mir eine Landkarte und fuhr mit dem Bus nach Shaktikhor, das letzte Dorf mit Straßenanbindung vor der Chepang Region. Von dort aus lief ich los, mit meinem gesamten Hab und Gut auf dem Rücken, das stattliche 22 kg auf die Waage brachte.

Shaktikhor - als einziger Ausländer in einer anderen Welt
Shaktikhor – als einziger Ausländer in einer anderen Welt

In Shaktikhor fand ich mich auf einmal in einer völlig anderen Welt wieder. Ich war der einzige Ausländer weit und breit und die Menschen schauten mich an, als wäre ich der erste Fremde, den sie zu Gesicht bekämen. Ziegenhirten und Reisbauern kreuzten meinen Weg. Als ich zufälligerweise auf einer Hochzeitsfeier landete, wurde ich kurzerhand zwischen die tanzende Meute gezerrt und hatte Gelegenheit, unter lautem Gejohle meine Fähigkeiten in nepalesischen Tanzkünsten zum Besten zu geben.

Ich übernachtete in Shaktikhor in einem Guesthouse, bevor ich am nächsten Morgen meinen Rucksack auf den Rücken schnallte und los lief. Der Pfad führte steil bergauf und das für sehr, sehr lange. Von 200 bis auf über 1200 Höhenmeter wuchtete ich mich und die 22 kg auf meinem Rücken nach oben.

Dorf ohne Straßenanbindung, Strom und fließendes Wasser

Am späten Nachmittag erreichte ich endlich das Dörfchen Upardangadi. Ich hatte mir in Shaktikhor sagen lassen, dass ich dort nach Ganes fragen sollte, bei dem ich ein Bett und Essen bekommen würde. Sein Haus war schnell gefunden, mein Schlafplatz war also gesichert. Upardangadi hat weniger als 100 Einwohner und ist einen Tagesmarsch von jeder Straße entfernt. Es gibt weder Strom, noch fließendes Wasser in den Häusern. Eine kleine Solarzelle, die fast jedes Dach schmückt, reicht aber für elektrisches Licht und Handyaufladungen.

Upardangadi - kleines Dorf mit glücklichen Menschen
Upardangadi – kleines Dorf mit glücklichen Menschen
Ganes' Kinder vor seinem Haus
Ganes‘ Kinder vor seinem Haus

Nach dem anstrengenden Fußmarsch war ich völlig ausgehungert. Ganes‘ Frau kochte über einem offenen Holzfeuer Dal Bhat, das traditionelle Reisgericht mit Linsen und Gemüse, wovon ich drei Teller hintereinander verschlang. Um mich herum sprangen fröhliche Kinder, ich bekam nicht wirklich heraus, welche Ganes‘ eigene und welche Nachbarn aus dem Dorf waren.

Was ist eigentlich Glück?

Mir wurde auf einmal klar: Hier leben glückliche Menschen. Menschen, die nicht viel mehr als ein paar Ziegen und ein Reisfeld haben, sind einfach so glücklich. Glücklicher als viele in Deutschland, die tausendmal mehr besitzen und doch nie zufrieden sind. Die Frage, was Glück eigentlich ist, sollte mich für die folgenden Tage beschäftigen. Mir schien, dass materieller Reichtum nicht unbedingt etwas damit zu tun hatte.

Am nächsten Morgen begleitete ich Ganes zu seinem Arbeitsplatz: die Schule von Upardangadi, deren Direktor er ist. Es ist eine kleine Grundschule mit nur 4 Lehrern und 54 Schülern. Sie liegt spektakulär auf einer Bergspitze und die Schüler aus den entlegeneren Dörfern haben bis zu 2 Stunden Fußmarsch hinter sich, wenn sie dort ankommen. Ich war neugierig, wie der Unterricht dort aussah, doch als ich mich zu den Kiddies auf den Boden setzen wollte, schob Ganes mich zur Tafel und meinte, ich sollte Englisch unterrichten, Tiere wären gerade das Thema.

Auf einmal Englischlehrer
Auf einmal Englischlehrer

Plötzlich bin ich Englischlehrer

So wurde ich plötzlich Englischlehrer. Am Anfang waren die Kleinen so schüchtern, dass sie sich kaum trauten, mich anzuschauen. Nach einer Weile bekam ich ein paar zaghafte Antworten auf die Frage: „What’s your name?“ Ich fragte weiter, wer denn Ziegen, Hühner und Kühe zu Hause hätte. Hatten sie alle, aber der Schreck, dass da so ein riesiger Alien stand, verschlug ihnen förmlich die Sprache. Als ich schließlich eine Art Buchstabenratespiel veranstaltete, tauten sie endlich auf. Am Ende kam richtig Leben in die Bude und sogar die schüchternsten beiden Mädchen aus dem entferntesten Chepang-Dorf riefen mir lauthals Buchstaben zu. Das war definitiv einer dieser magischen Momente auf Reisen, in denen man spürt, dass etwas Besonderes passiert.

Ganes und die anderen Lehrer hätten mich gerne länger in Upardangadi behalten, aber ich brach am nächsten Morgen auf und zog weiter in Richtung Jandala, wo der nächste Homestay auf mich wartete. Auf dem Weg dorthin traf ich nur eine Handvoll Menschen und ein paar Ziegen. Es ging hoch bis auf über 1900 Meter und die Aussicht auf das grüne Tal, durch das sich Nebelströme zogen, die wie Wasserfälle aussahen, war einfach malerisch. Mir ging die Frage nicht aus dem Kopf, was eigentlich Glück ist. Ich merkte, dass ich in diesem Moment unglaublich glücklich war. Weitab jeder Straße mit meinem gesamten Hab und Gut auf dem Rücken zu Fuß in dieser fremdartigen Welt unterwegs zu sein, fühlte sich wie die absolute Freiheit an.

Malerisches Dorf und Bergspitzen in weiter Ferne
Malerisches Dorf und Bergspitzen in weiter Ferne

Keine glücklichen Menschen mehr im Chepang Dorf

Als ich in Jandala ankam, hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass dort glückliche Menschen lebten. Ich hatte bereits gehört, dass dieses Bergdorf sehr arm ist, hatte aber keine Ahnung, wie bettelarm die Menschen dort tatsächlich sind. Der einzige Homestay im Ort war im Haus einer Familie, deren Kinder kaum etwas zum Anziehen und keine Schuhe hatten, obwohl die Temperaturen dort oben um diese Jahreszeit mitunter bis knapp über dem Gefrierpunkt sinken. Die Stimmung war das komplette Gegenteil von der Ausgelassenheit in Ganes‘ Haus am Tag zuvor. Hier lachte keiner, entweder es herrschte Schweigen oder jemand brülle plötzlich jemanden anderen an. Da keiner ein Wort Englisch sprach, war nicht herauszubekommen, worum es dabei ging.

Jandala - Chepang-Kind ohne Schuhe in der Kälte
Jandala – Chepang-Kind ohne Schuhe in der Kälte

Außer mir wohnte noch eine Gruppe von 8 Australiern dort. Eigentlich hatte ich keine Lust auf andere Touristen, aber an diesem Tag war ich froh, etwas aufmunternde Gesellschaft zu haben. Die Australier hatten den Kindern Pullover aus der Stadt mitgebracht, die sie für jeweils 2 Euro gekauft hatten und damit wohl ein dickes Stück geholfen, einigermaßen durch den Winter zu kommen.

Nachtlager in der Küche

Da die Australier schon alle Betten belegten, wurde ich mangels Platz in der Küche einquartiert, wo man eine hölzerne Abstellfläche frei räumte und zum Bett umfunktionierte. Mit meiner Luftmatratze und meinem Schlafsack wurde das sogar ganz gemütlich. Ich dachte darüber nach, warum in Jandala weit und breit kein Glück zu sehen war, während in Upardangadi selbst die Ärmsten glücklich zu sein scheinen. Der krasse Unterschied zwischen den beiden Dörfern brachte mich auf den Gedanken, dass die Voraussetzung für Glück vielleicht ein gewisses Maß an Bildung ist plus die Fähigkeit, für seinen elementaren Lebensunterhalt selbst zu sorgen.

Am nächsten Tag zog ich weiter nach Hattibang. Dort bot mir ein Mann namens Jagadi einen Homestay an. Er arbeitet in der örtlichen Schule, zu der er mich auch gleich mitnahm. Über 400 Schüler lernen dort, 1.-10. Klasse. Die Lehrer sind allesamt unter 30 und waren sofort ziemlich neugierig auf mich. Ich erzählte, dass ich in Upardangadi Englisch unterrichtet hatte und fragte, ob ich auch hier etwas helfen könnte. Man sagte mir, dass gerade Prüfungen seien, aber ich könnte doch dort gleich mal den Text für eine Hören-und-Verstehen-Aufgabe vorlesen. Bevor ich mich versah, stand ich vor der Prüfungsklasse, bekam einen Text über Isaac Newton in die Hand gedrückt und las diesen vor.

Haus meiner Gastgeber in Hattibang
Haus meiner Gastgeber in Hattibang

Abends gab es Dal Bhat und Holzfeuer in Jagadis Küche. Ich spendierte eine Flasche im Dorf gebrannten Reisschnaps, den ich zuvor besorgt hatte, was dazu führte, dass ich mit Jagadi zu nepalesischer Musik in seiner Küche tanzte.

Der schönste Anblick der Welt

Am nächsten Morgen weckte mich um 6 Uhr morgens Jagadis unermüdlich krähender Hahn. Da an Schlaf nicht mehr zu denken war, lief ich auf den höchsten Hügel im noch schlummernden Dorf, um mir den Sonnenaufgang anzuschauen. Am Horizont war ein blutroter Streifen zu sehen, der immer heller wurde. Das Tal vor mir war mit dicken Wolken verhangen und in weiter Ferne waren die 8000 Meter hohen Annapurna-Berge zu sehen, die ich in den vergangenen Wochen zu Fuß umrundet hatte. Ich hatte das Gefühl, dass dies einer der schönsten Anblicke war, der mir jemals vor die Augen gekommen ist.

Sonnenaufgang über den Wolken
Sonnenaufgang über den Wolken

Ich dachte wieder über Glück nach und konnte es direkt in diesem Moment in mir aufsteigen spüren. Mir wurde klar, dass es nicht nur dieser Moment war, sondern wieviel Glück mir überhaupt dieses Leben verschafft, das ich seit 6 Monaten führe. Und dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dieses jemals wieder gegen ein anderes einzutauschen.

Danach ging ich wieder zur Schule und setzte meine Karriere als Englischlehrer vor einer 3. Klasse fort. Inzwischen hatte ich ja schon etwas Übung und sorgte so schnell für gute Stimmung mit meinem bewährten Buchstabenratespiel. Ich hatte genauso viel Spaß daran wie die Kiddies und kann mir gut vorstellen, sowas mal für länger zu machen, vielleicht in Indien.

Neugieriges Gedränge vor dem Klassenraum, in dem ich stehe
Neugieriges Gedränge vor dem Klassenraum, in dem ich stehe

Nachdem Jagadi und die gesamte Lehrerschaft etwas entsetzt zur Kenntnis nahmen, dass ich mich nach nur einem Tag schon verabschiedete, packte ich meinen Rucksack und lief wieder los. Eigentlich wollte ich noch eine Nacht im Zelt irgendwo in der Wildnis schlafen, aber die Gegend wurde belebter und ich fand kein Plätzchen, das dafür geeignet schien. So lief ich immer weiter, bis ich die Straße erreichte und mich schließlich im Bus nach Kathmandu wiederfand.

Zurück in der Zivilisation

In den vergangenen Tagen hatte ich kaum etwas aus dem Leben in der Zivilisation vermisst. Doch kaum war ich wieder in der Stadt, konnte ich mich selbst dabei beobachten, wie ich zunächst ein schickes Hotelzimmer buchte, mich dort sofort unter die heiße Dusche stellte und danach innerhalb von kürzester Zeit ein dickes Steak verschlang, Bier in mich kippte, in ein Snickers biss und eine Shisha rauchte. War das Glück? Das meiste davon nicht, außer eines: Nach 5 Tagen ohne fließendes Wasser war der Moment, in dem das heiße Wasser der Dusche meinen Körper traf, schon ein ziemlicher Glücksmoment. Nach wenigen Sekunden musste ich an die frierenden Kinder in Jandala denken.

3 thoughts on “Chepang – Eine Welt ohne Strom und Straßen”

  1. lieber felix,
    ich ziehe meinen hut vor dir.
    komme gerade von einem praxistag im tibetischen buddhismus zum thema „mitgefühl“. da war viel von nepal die rede und ich habe auch viel an dich gedacht.
    ich danke dir sehr.
    mutti

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert